Frühe Übertragungsmuster und deren Bedeutung in der Behandlung psychosomatischer Störungen

 

 

 

Rainer Sandweg

 

 

 

 

 

 

 

Einleitung

 

 

 

Es geht um die Besonderheiten der Arzt/Patient Beziehung, wenn Krankheitszeichen weder rein körperlich, noch rein seelisch zu erklären sind

 

 

 

Die Bezeichnung einer Gesundheitsstörung als „psychosomatisch“ ist nicht wertfrei. Das oft vage Beschwerdebild wird in rationalisierender und technisierender Weise dargestellt, was auch als „Maschinendenken“ oder „pensée opératoire“ in die Literatur eingegangen ist.  Psychosomatische Patienten neigen häufig zu einer Verallgemeinerungen und Gemeinplätzen, was den Diskurs unbelebt erscheinen lässt. Sie wurden deshalb  als „alexithym“ oder „seeleblind“ beschrieben. Dieser Vortrag soll sich der Frage widmen, ob körperliche Störungen dann auftreten, wenn ein innerer Konflikt nicht kommuniziert werden kann. Um in dieser Frage weiter zu kommen sei ein kurzer theoretischer Ausflug gestattet.

 

 

 

Pierre Marty, Michel d’Uzan Das operative Denken (»Pensée opératoire«) Psyche, 1978, 32(10), 974-984

 

 

 

J. C. Nemiah, P. E. Sifneos: Affect and fantasy in patients with psychosomatic disorders. In: O. W. Hill (Hrsg.): Modern Trends in Psychosomatic Medicine Band 2. Butterworths, London 1970, S. 26–34

 

 

 

Zepf, S. (2005): Affekt, Spiel, Sprache- einige grundsätzliche Überlegungen zur Entwicklung des kindlichen Denkens. Kinderanal. 13: 241-275.

 

 

 

 

 

Theorie

 

 

 

Bewusstsein

 

Die Biologie sieht seelische Aktivitäten als Hirnfunktionen. Es gibt kein Bewusstsein ohne intakte Großhirnfunktionen.  Dabei sind die Aktivitäten des Großhirns nur ein kleiner Teil der gesamten Leistung des ZNS.

 

Bewusstsein ist unter anderem das Wissen eines Systems über sich  selbst und erlangt über das Gedächtnis eine historische Dimension. Das Wissen über sich selbst und das Teilen dieses Wissens mit anderen hat evolutionäre Vorteile:

 

 

 

  • Indem ein System seine Situation erkennt, kann es über „günstig“ oder „ungünstig“ entscheiden. Nur wenn eine solche Bewertung möglich ist, sind  überlebensfördernde Korrekturen möglich.

  • Kollektive Lern- und Adaptationsprozesse sind auf Bewertungen und einen  differenzierten und eindeutigen Signalaustausch angewiesen.

  • Nur über Bewusstsein ist eine umfassende  Kommunikation mit Anderen möglich. Hierzu hat sich schon Friedrich Nietzsche (Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft) weitsichtig geäußert: Bewusstsein ist eigentlich nur ein Verbindungsnetz zwischen Mensch und Mensch in welchem die Sprache als Mitteilungszeichen funktioniert.

  • Der bewusste menschliche Informationsaustausch vollzieht sich überwiegend durch Sprache (διάλογος).

     

    Das Entstehen von Sprache

    Wenn auch die Sprache als „Aktivität des Bewusstseins“ (G. Roth) das wichtigste Kommunikationsmittel ist, so besteht  doch kein Zweifel daran, dass jegliches  Bewusstsein mit der Wahrnehmung  von Körpersensationen beginnt, die in Antwort auf physikalische Reize zu physiologischen Funktionsveränderungen, also zu einer Erregung, führen. Die primären Verbindungen des Individuums zur Umwelt bestehen aus körperlichen Reaktionen.

Roth G. (1997) Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 

 

 

 Damasio spricht in diesem Zusammenhang von somatischen Markern, die dazu dienen die komplexe Erlebniswelt zu strukturieren und die Handlungsmöglichkeiten in dieser zu begrenzen, um damit überhaupt handlungsfähig zu sein. Sie retten die Gefühle aus der Welt der Irrationalität und zeigen ihre wichtige Rolle in Form von unbewusster Erfahrung, bei Entscheidungsprozessen und in der gesamten sozialen Interaktion. Gefühle und Emotionen sind demnach nicht als das Gegenteil von Rationalität anzusehen, sondern als eine ihrer Grundlagen. Damasio A. (2002) Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. Ullstein, München, 2002 (3. Auflage)

 

Konstruktionsmuster von Wirklichkeit

Neurobiologische Theorien können zwar die prinzipielle Funktionsweise des Gehirns erklären, sie erklären aber nicht das Ergebnis der Aktivität dieses hochkomplexen Systems und schon gar nicht dessen vielfältige Interaktionen in sozialen Bezügen. Welche Wege der Bewusstseinsbildung verfolgt werden, wie wir unsere innere und äußere,  unsere individuelle und soziale Wirklichkeit konstruieren, welche Konstruktionsmuster von Wirklichkeit wir anwenden, ist ein zentrales Thema der Psychoanalyse. Die anatomische Struktur des Gehirns und die funktionelle Zuordnung zu einzelnen Hirnstrukturen zeichnen einen phylogenetisch bestimmten Weg zur Bewusstheit. Erst der ontogenetische oder erlebnisbedingte Anteil der Bewusstwerdung erzeugt durch die historische Dimension eine Individualität der Weltsicht.

 

 

Gedächtnis

Körperrektionen und ihre Wahrnehmung sind also das Tor, durch welches die Außenwelt zu uns dringt. Sie führen zu Affekten als den  ersten Grundelementen von Erleben. Erleben kann aber erst zu Bewusstsein führen, wenn es dafür ein Gedächtnis gibt. In den frühen Stadien der Gedächtnisbildung ist eine Trennung von Gefühlen und Kognitionen nicht möglich. Für das Verständnis der frühen Bewusstseinszustände ist es wichtig, beide als ein Kontinuum zu begreifen.

 

Lust-Unlust System

Die Fähigkeit zur Speicherung und Reproduktion von Erleben ist eine Grundbedingung für das Entstehen von Bewusstsein. Datenspeicherung setzt ein Ordnungsprinzip voraus, nach dem die Speicherung erfolgen soll. Im Menschen werden   Sinneseindrücke entlang eines angeborenen Lust- Unlust Systems geordnet. Dieses Ordnungsprinzip scheint das früheste und elementarste Bewertungssystem zu sein, das uns und unseren tierischen Verwandten zur Verfügung steht.

 

 Symbole

Darüber  hinaus verfügt der Mensch  noch über ein weiteres Ordnungsprinzip: die Bildung von Symbolen. Es spricht Vieles dafür, dass die Symbolisierung die wesentliche Grundlage der Gedächtnisbildung ist. Sie dient der Formatierung, Komprimierung und Speicherung. Symbolisierung ist eine Abstraktion, die das Besondere als Teil eines Allgemeinen begreift und somit das Individuum in die Lage versetzt, Engramme für das dem Erlebten innewohnende Wesentliche zu bilden.

 

Affektsymbole, interaktive Engramme und Repräsentanz

Symbolbildung beginnt im vorsprachlichen Raum zunächst als Bündelung von Sinneseindrücken und deren affektiver Erregung. In zunehmendem Maße werden Situationen anhand der von ihnen ausgelösten Affektmuster als ähnlich oder gemeinsamen erkannt. Solche  Affektsymbole beziehen sich dann nicht nur auf einzelne Situationen, sondern auch auf Aktionen, mit anderen Worten auf szenische Abläufe, so dass man von interaktiven Engrammen gesprochen hat. Die Zuordnung sich wiederholender Abläufe zu  Affektsymbolen ist also der früheste Kern einer Repräsentanz der äußeren Welt. Die Aktivierung von Repräsentanzen führt zu physiologischen Erregungsmustern, die einen Handlungsablauf vorhersagen. Sie dienen somit als Prädikatoren der Beziehung des Individuums zur äußeren Welt. Die beginnt –wie wir heute wissen- nicht erst mit der Geburt.

 

Akustische Signale

Von den zur Verfügung stehenden Sinnesorganen bietet die Verarbeitung akustischer Signale die günstigste Voraussetzung für eine umfassende und schnelle Kommunikation. Akustische Signale sind höchst differenziert und  weittragend. Ihre Registrierung bedarf nicht der gerichteten Aufmerksamkeit. So ist die Entwicklung des Bewusstseins von Anfang an auch eine soziale Entwicklung.

  

Reizregistrierung èSprache

Fasst man die Entwicklung von der Reizregistrierung bis zur sprachlichen Wiedergabe zusammen, so kann man den Weg als zunehmende Symbolisierungsfähigkeit beschreiben:

 

  • Bündelung unterschiedlicher somatischer und affektiver Reizantworten.

  • zunehmende Konturierung der zunächst nur vage bestehenden Zusammenhänge.

  • vergrößernde Komplexität und differenzierende Lautbildung.

  • Ordnung sich ständiger widerholender szenischer Abläufe zu stabilen und unverwechselbaren Erlebniskonstellationen, die als  Komplexe bezeichnet worden sind.

     

    Das Spiel

     

  • Die Verknüpfung vieler Affektsequenzen im spielerischen Umgang mit der Außenwelt ermöglicht durch die zunächst rein somatisch gebundenen Prädikatoren das Wiederkehrende zu erkennen und als ein Gemeinsames im Verschiedenen zu erleben. Gleichzeitig wird es möglich unter dem Kriterium „lustvoll“ oder „unlustvoll“ eine Bewertung vorzunehmen. Damit sind die Voraussetzungen für eine Hierarchisierung der Erlebnisse gegeben.

     Das Spiel ermöglicht darüber hinaus Wirkzusammenhänge zu erkennen und damit den Grundstein kausalen Denkens zu legen.

     Die spielerische Imitation ist zudem der Anfang der Identitätsbildung.

     

     

    Die Assoziation von begleitenden Lauten und Lautkombinationen mit diesen Komplexen ermöglicht eine erste abstrakte Orientierung in der so entstehenden Hierarchisierung der Erlebniswelt. Dieser Prozess der Abstraktion führt bei fortschreitendem Differenzierungsvermögen dazu, dass nicht mehr ganze Interaktionsverläufe zur Symbolisierung notwendig sind, sondern nur einzelne Objekte und Aktionen. Bei gleichzeitiger Entwicklung der Lautbildung schreitet die sprachliche Symbolisierung fort.

     

    Desomatisierung und Ökonomisierung

    Mit der Sprache verlieren die archaischen körperlichen Vorgänge im bewussten Erleben ihre Bedeutung. Konflikte und auch Konfliktlösungen werden desomatisiert.

    Die De-Somatisierung dient damit der Ökonomisierung und Differenzierung innerer Prozesse.

     

    Ich und Du

    Die weitere Entwicklung des kindlichen Bewusstseins entsteht bei der Entdeckung der Tatsache, dass die Umwelt auf eigene Aktivitäten antwortet. Indem sich die innere Welt differenziert wächst das Wissen um die eigene Existenz, da sich eine stabile Erinnerung an alle möglichen Kombinationen von Erfahrungen sammelt, geordnet nach der Bewertung: „gut“ oder „schlecht“. „Gut“ bedeutet: „Es stellt Harmonie  her“, „schlecht“ heißt: „Es stört“. Nach der so vollzogenen Kategorisierung in lustvoll und unlustvoll entwickeln sich zwei voneinander unterscheidbare Erfahrungsräume, die mit wachsender Sprachfähigkeit zu „Ich“ und „Du“ werden. Das Du ist nicht immer wunscherfüllend und kann so zum „Fremden“ werden.

     

     

    Gewissen und Ambivalenz

    Unter dem Einfluss der frühen Objektbeziehungen wächst im Individuum zudem eine Vorstellung von dem was sozial erwünscht ist und was nicht. Diese innere Bewertung wird zum Gewissen. Damit ist die Grundlage für zwiespältige Gefühle, für Ambivalenz gelegt, von der wir wissen, dass sie der Ursprung vieler seelischer und psychosomatischer Symptome ist.

     

     

    Die Ungeschiedenheit

    Die  ursprüngliche Erwartung einer einheitlichen, nur guten Welt muss korrigiert und die Weltsicht der Ungeschiedenheit aufgegeben  werden. Aus dem „Wir“ wird „Ich und „Du“.

     

     

    Konflikt und inneres Gleichgewicht

    Mit der Trennung von „Ich“ und „Du“ geht die Wahrnehmung von unterschiedlichen Interessen einher, die sowohl zu äußeren als auch inneren Konflikten führen können. Nur die Lösung des Konfliktes kann das innere Gleichgewicht wieder herzustellen. 

    Man stelle sich den Konflikt zwischen einem hungrigen Säugling und dem schlafbedürftigen Elternteil vor. In diesem Fall wird die somatische Erregung des Kindes lautstark kommuniziert und es gibt nicht eher Ruhe bis es „gestillt“ oder gefüttert wurde. Ein Jahr später besteht die Kommunikation dann nicht mehr aus lautem Schreien, sondern es heißt vielleicht „Happa Happa“. Noch etwas später heißt es dann: „Ich habe Hunger“ und die mögliche Antwort könnte lauten: „Es gibt gleich Abendbrot“. Durch Symbolisierung und sprachliche Abstraktion ist der Austausch nun differenzierter geworden, ein für beide Seiten akzeptabler Ausgleich wird möglich.

    Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass die Auflösung eines inneren Konfliktes nicht gelingt, weil die Bewusstwerdung von Affekten nicht oder nicht ausreichend ist: 

     

 

Resomatisierung

 

Die De-Somatisierung scheint keine Einbahnstraße zu sein. Offenbar ist der Weg von der körperlichen Erregung bis zur Bewusstheit auch reversibel. Schon Max Schur vertrat die Ansicht, psychosomatische Störungen würden über eine Re- Somatisierung entstehen.)  Resomatisierung wird dabei als Regression auf eine frühere Stufe der seelischen Entwicklung verstanden. Die Regression gilt in der psychoanalytischen Theorie als eine Abwehr bzw. Schutzmaßnahme vor bedrohlich wirkenden inneren und äußeren Konflikten.

 

Schur, M. Comments on the Metapsychology of Somatization. Psa.Stud. Child. 10 (1955) 119-164. (Dt. in: Brede K. (Hersg.): Einführung in die Psychosomatische Medizin. Frankfurt 1974, Seite 335-395)  

 

 

 

Konversion

 

Es ist aber auch möglich, dass für bestimmte Konflikte die sprachliche Abstraktion unvollständig bleibt, weil der anstehende Konflikt aus irgendwelchen Gründen mit zu starker Angst verbunden ist und deshalb nicht in Worte gefasst werden kann. Die ursprünglichen Körpersensationen werden selbst zum Symbol  in der dialogischen Auseinandersetzung. In der Sprache der Psychoanalyse wird dieser Vorgang als Konversion bezeichnet.

 

 

 

Bei gravierenden und anhaltenden Störungen der skizzierten seelischen und geistigen Entwicklung kann die sprachliche Symbolisierungsfähigkeit insgesamt unvollständig bleiben. Die erregte Körperlichkeit findet keinen differenzierten  sprachlichen Ausdruck und damit keine Lösungsmöglichkeit. Die Folge ist ein hohes Maß an körperlichen Befindlichkeitsstörungen, deren Schilderung das Gespräch der so Betroffenen dominiert.

 

Allen drei Störungsmöglichkeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass eine differenzierte Kommunikation nicht gelingt. Ab einem gewissen Reifegrad fordert jede menschliche Gemeinschaft die Verständigung über sprachlichen Ausdruck. Der absolute Imperativ des schreienden Säuglings wird akzeptiert, ebenso das lautmalerische „Happa, Happa“ des 11/2 Jährigen. Nicht akzeptiert wird hingegen, wenn ein –sagen wir 4-6 Jähriger- noch gleicher Weise mitteilt, dass er etwas essen möchte.

 

 

 

 

 

 

 

Therapeutische Konsequenzen

 

 

 

 

 

Übertragung und Gegenübertragung

 

Jede Beziehung ist geprägt von Beziehungserwartungen, die von Erinnerungen an schon durchlebte Beziehungen geprägt sind. In der Psychoanalyse spricht man von Übertragung.

 

Die Entwicklung psychosomatischer Symptome geht einher mit der Übertragung früher Beziehungsformen. Das Verstehen dieser frühen mentalen Zustände beim Patienten setzt beim Analytiker die Bereitschaft voraus, sich an seine eigenen diesbezüglichen seelischen Anteile zu erinnern und sich ihnen teilweise zu überlassen. Frühe Formen der Übertragung mobilisieren beim Analytiker frühe Formen der Gegenübertragung. Das Verständnis für frühe Bewusstseinszustände des Patienten setzt die Bereitschaft des Analytikers voraus, seine eigenen „primitiven“ oder mit Freud gesagt, seine eigenen primärprozesshaften Anteile, für das Verständnis des Patienten zu zulassen.

 

 

Die Sprachlosigkeit

 

Nach dem bisher gesagten erscheint es sinnvoll, vor allem die mangelnde Kommunikationsfähigkeit des Patienten im therapeutischen Dialog herauszuarbeiten und zu verbessern.

 

Die Anwendung der Ich-Psychologie hat vor allem in der „psychoanalytisch – interaktionellen Methode“ die Möglichkeit eröffnet, Nachreifungsprozesse in Gang zu setzen. Nicht ausreichend entwickelte Ich – Funktionen werden aufgespürt und korrigiert. Allein das Formulieren solcher Defizite kann hilfreich sein, oft aber ist es notwendig, dass der Therapeut dem Patienten sein Verständnis und sein Erleben hilfsweise zur Verfügung stellt, sozusagen eine Hilfs – Ich – Funktion übernimmt.

 

 

 

Affektklarifizierung

 

 

Im Sinne der eingangs referierten entwicklungspsychologischen Theorien ist damit zu rechnen, dass man in Stadien tiefer Regression Affektsymbolen begegnet, die nicht ausreichend in  Worte gefasst werden können. Unbestimmte Zustände von Unbehagen, Gefahr oder Versuchung beeinflussen dann die Beziehung zum Analytiker. Es liegt auf der Hand, dass zunächst einmal Affektklarifizierungen, Orientierungs- und Formulierungshilfen notwendig sind.

 

Solche ichpsychologischen Hilfen seitens des Therapeuten sollten entsprechend kommentiert werden, damit der Patient ein Bewusstsein dafür entwickelt, was ihm im Gespräch fehlt.

 

 

 

 

 

Beispiel:

 

Ein Kopfschmerzpatient klagt in einer tiefenpsychologisch fundierten Therapie (etwa in der 30ten Stunde) über plötzliche Beschwerden am Nachmittag des vorangegangenen Tages.

 

Therapeut: Was war denn gestern?

 

Patient: eigentlich nichts, ein ganz normaler Tag

 

Therapeut: Schildern Sie doch bitte mal den Tag genau

 

Patient: den ganzen?

 

Therapeut: ja bitte

 

Der Patient schildert den Büroalltag. Nachmittags hatte er seinen Vorgesetzten gebeten, wegen einer Familienfeier in der kommenden Woche einen halben Tag frei zu bekommen. Seiner Bitte wurde nicht entsprochen, entweder er nähme den ganzen Tag Urlaub oder gar nichts.

 

Therapeut: wie ging´s Ihnen damit?

 

Patient: wie soll es mir damit gehen? Das sind eben Vorschriften, ist doch normal

 

Therapeut: Also wenn ich versuche mich in Ihre Situation zu versetzen, ich wäre vermutlich enttäuscht, wenn nicht gar verärgert gewesen.

 

Patient: Im vergangenen Monat hatten wir Inventur, da habe ich insgesamt 15 Überstunden gemacht.

 

Therapeut: ich könnte verstehen, wenn Sie sich angesichts dieser Tatsache doch ein bisschen geärgert haben.

 

Patient: (zögert)........Ja, schon

 

Therapeut: aber sie konnten es nicht ausdrücken, ich musste schon ein bisschen nachhelfen

 

Patient: Hm

 

 

 

Gedächtnis

 

Erst mit zunehmender Differenzierung und Verknüpfung mit Sprache sind Gedächtnisinhalte bewusstseinsfähig und kommunizierbar. In frühen Regressionszuständen ist die Gedächtnisfunktion noch nicht gut entwickelt.

 

 

 

Beispiel:

 

Eine ca. 35 jährige Patientin mit einer schweren colitis ulcerosa und depressiven Verstimmungen kommt in die 57. Stunde einer tiefenpsychologisch fundierten Therapie und erzählt, dass sie die Koffer gepackt hat, um zum ersten Mal mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern in einen 3-wöchigen Sommerurlaub zu fahren. Sie ist mit ihrer Berufstätigkeit, dem Haushalt und der Sorge um die kranke Schwiegermutter stark belastet. Sie freut sich auf ruhige, entspannte Tage in einer Familienpension im Westerwald.

 

 

 

Patientin: Ich bin froh, dass ich es geschafft habe, alles ist fertig, morgenfrüh geht es los. An was man alles denken muss.

 

Therapeut: Ja, an was?

 

Die Patientin schildert ausführlich an was man mit zwei kleinen Kindern auf dem Bauernhof denken muss. Auch an Badezeug, weil es einen Pool gibt. Viel Kleidung für die Kinder, die können auf dem Bauernhof rumtoben wie sie wollen und machen sicher viel Zeug dreckig. (Ich kenne den Westerwald und auch die Tatsache, dass es dort manchmal im Sommer ziemlich schlechtes Wetter geben kann.)

 

Therapeut: was machen Sie  wenn es mal regnet?

 

Patientin: (schweigt betroffen) ...... Mein Gott, an Regen habe ich gar nicht gedacht.

 

Therapeut: Sie haben gar nicht daran gedacht?

 

Patientin: wirklich nicht... Pause... das ist oft so, dass ich nicht an das denke, was unangenehm sein kann. Wenn meine Schwiegermutter das raus kriegt sagt sie wieder ich wäre zu schusselig. Die hält sowieso nichts von mir.

 

Therapeut: Ich vermute sie würden ihr innerlich recht geben

 

Patientin: ja sicher, ich bin ja auch schusselig

 

Therapeut: das hat mit schusselig nichts zu tun. Es ist eher eine Frage der Erinnerung an unangenehme Sachen. Wenn man die nicht zulässt kann man keine Vorkehrungen treffen

 

Patientin: Hm....Ich werd auf jeden Fall noch Regensachen einpacken.

 

Therapeut: ich wünsche Ihnen, dass sie nicht gebraucht werden. Aber in diesem Fall war es vielleicht günstig, dass ich mich für Sie an den Regen erinnert habe.

 

Patientin: Ich kann Sie doch nicht immer dabei haben

 

Therapeut: Nee

 

 

 

  

 

Ungeschiedenheit

 

Auch die Selbstpsychologie (H. Kohut) hat  wesentlich zum Verständnis früher Entwicklungsstörungen beigetragen. Namentlich die Konzeption eines frühen Stadiums der Ungeschiedenheit als natürliche Frühform der Objektbeziehung hilft, sehr frühe Übertragungsformen zu verstehen. Ich habe mich oftmals in analytischen Behandlungen gefragt, warum mein Patient mir eine wichtige  Mitteilung verschwiegen hat. Etwa die in der nächsten Woche stattfindende Heirat, einen wichtigen Gang zum Arzt oder einen ehelichen Fehltritt etc.  Auf einer frühen Entwicklungsebene ist dieses Verhalten mit Widerstand oder Abwehr nicht ausreichend erklärt. Abgesehen von der Tatsache, dass zur Bildung von Abwehr eine gewisse Reife des Ichs notwendig ist, liegt dem Verschweigen des Patienten hier ein Grundgefühl zugrunde, das man etwa so beschreiben kann: „Wir beide wissen ja sowieso was mit mir passiert, also bedarf es keiner Mitteilung.“

 

 

 

Beispiel:

 

Nach der erfolgreichen Operation einer lebensbedrohlichen Mitralklappen Insuffizienz  entwickelte ein mitte 50jähriger Patient  einen unbestimmten Schwankschwindel und eine schwere Depression. Letzterer hatte zu intensiver medizinischer Diagnostik geführt. Unter anderem hatte man im Kontrastmittel-MRT festgestellt, dass der Circulus vilusii nicht durchgängig war. Die Schwindelgefühle hatten damit eine organische Erklärung gefunden. Allerdings war die  Krankheitsfurcht des Patienten noch stärker angefacht worden, er wurde die Angst nicht mehr los bald einen Schlaganfall zu erleiden.

 

Nach einem Jahr analytischer Behandlung ging es dem Patienten wesentlich besser, er hatte seine seelischen Beschwerden als eine regressiven Rückzug verstehen gelernt, der deshalb besonders tragisch war, weil er sein mangelhaftes Selbstbewusstsein im Leben immer durch besondere geistige wie körperliche Leistungen kompensiert hatte. Nun sah er angstvoll einer Kontrolle des MRT Befundes entgegen. In der Stunde nach der Untersuchung war ich natürlich gespannt auf das Ergebnis der Kontrolluntersuchung, sie fand aber keinerlei Erwähnung.

 

  

 

Therapeut schließlich: Sie erwähnen die MRT Untersuchung gar nicht.

 

Patient: Habe ich Ihnen das nicht gesagt? Es ist alles in Ordnung.

 

Therapeut: die Untersuchung war doch erst nach unsere letzten Stunde.

 

Patient: Stimmt. Ich hätte schwören können, ich hätte es Ihnen gesagt

 

Therapeut: Sie hatten mich in Ihrer Phantasie so eng bei sich, dass Sie mir gar nichts sagen mussten. Sie nahmen an, ich wüsste sowieso alles. Ich glaube die Angst vor einer schweren Hirnstörung hat damals zu einem kleinkindlichen Gemütszustand geführt, in dem zwischen Ich und Du noch gar nicht zu unterscheiden war. Und jetzt bei der Kontrolluntersuchung hat sich das wiederholt, sie hatten mich so nah bei sich, dass ich in Ihrem Gefühl selbstverständlich Bescheid wusste.

 

Patient: klingt kompliziert, kann aber sein.

 

 

 

Zuordnungshilfe

 

In der Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen und in Momenten tiefer Regression ist die angemessene Zuordnung von aktuellem Erleben zu sicheren Gedächtnisinhalten nicht möglich. Die Folge ist eine schwere Verunsicherung, die man auch als existentielle Angst oder Panik bezeichnen kann. Der Patient setzt alles daran, solchen Zuständen nicht ausgeliefert zu sein.

 

 

 

Beispiel:

 

Eine junge Patientin kam mit schweren Arbeitsstörungen und ausgeprägten Depersonalisationsstörungen in meine analytische Behandlung, nachdem sorgfältige medizinische Untersuchungen keine organische Ursache für ihre sehr unangenehmen Schwindelgefühle ergaben. In der Arbeit ergab sich, dass sie im Alter von ca. 4-6 Jahren vom Großvater sexuell missbraucht worden war.

 

Es hatte sich ein gutes Arbeitsbündnis entwickelt und die Analyse kam gut voran. Etwa in der 150. Stunde kam ich im schwarzen Anzug zur Stunde, da ich gleich im Anschluss auf eine Beerdigung musste.

 

Bei der Begrüßung sah ich die Patientin leicht zusammenzucken. Sie legte sich sehr zögernd, irgendwie widerwillig, auf die Couch.

 

 

 

Patientin: (langes Schweigen)

 

Therapeut (nach ca. 5 Minuten): Was lässt sich nicht aussprechen?

 

Patientin: schweigt

 

Therapeut (nach weiteren Minuten des Schweigens): Ist Ihnen nicht gut?

 

Patientin: mir ist schwindelig und schlecht (schweigt)

 

Therapeut: Ist etwas vorgefallen?

 

Patientin: Ich weiß nicht ....(zögernd) Sie sind so anders...

 

Therapeut: anders?

 

Patientin: Sie sehen so merkwürdig aus, ich kann es nicht sagen. Es ist so als ob plötzlich alles fremd ist.

 

 

 

Ich versuche meine Frage selbst zu beantworten und dann wird es mir klar: der schwarze Anzug ist anders

 

 

 

Therapeut: Ist es mein Anzug?

 

Patientin: (zögernd)Ich weiß nicht

 

Therapeut: Habe ich in diesem Outfit etwas von Ihrem Großvater?

 

Patientin: ja wirklich, das ist es, die weißen Haare und der schwarze Anzug

 

Therapeut: Da haben Sie Ihren Großvater in mir gesehen und alles kam wieder hoch

 

Patientin (deutlich entspannt): ja, so muss es sein, ist doch verrückt

 

 

 

 

 

  

Das langweilige Gespräch

 

Der Dialog mit psychosomatischen Patienten ist häufig karg, unbelebt, von Gemeinplätzen dominiert.

 

 

 

Karg

 

Ein Dialog kann karg sein, wenn man entweder nichts zu sagen hat oder es nicht sagen kann. Beides kann in psychosomatischen Therapien der Fall sein. Da ist zum einen die frühe Übertragung von Ungeschiedenheit. („Was muss ich dem anderen Teil von mir noch mitteilen, wie ich mich fühle, wir wissen das ja sowieso.“). Die entsprechende Gegenübertragung vermittelt ein trügerisches Gefühl, alles zu wissen und nicht nachfragen zu müssen. Zum anderen ist die Fähigkeit Gefühlen Worte zu verleihen unzureichend ausgeprägt. Man kann das vielleicht mit der Aufgabe vergleichen, einen komplizierten Sachverhalt in einer Fremdsprache ausdrücken zu müssen, die man nur mangelhaft beherrscht.

 

 

 

Unbelebt 

 

Wie die Gefühle, so tragen die begleitenden Phantasien zur Belebung des Dialoges bei. Mit den Phantasien hat es aber eine Besonderheit. Sie sind ureigen. Wenn etwas aber zu mir gehört und nicht zu den Anderen, dann ist es möglicherweise trennend.  Trennen aber heißt, eine Gemeinschaft aufgeben, Trennen ist die Voraussetzung für „Ich“ und „Du“. Wie weiter oben skizziert, leben psychosomatisch Kranke häufig im „Wir-Modus“. Da können Phantasien störend sein, werden als ängstigend erlebt, weil sie die Gemeinsamkeit wohlmöglich stören.

 

 

 

Gemeinplätze

 

Das Gleiche gilt für Meinungen und damit bin ich bei den Gemeinplätzen angelangt. Häufig erleben wir bei psychosomatischen Patienten einen störenden Hang zur Konformität. Sie sind eifrig bedacht, keine Normen zu verletzen, sagen „man“ wenn sie „ich“ meinen und wirken beunruhigt, wenn sie nicht „normal“ sein könnten. Sie überlassen es dem Therapeuten zu bestimmen wie man richtig fühlt und welche Meinung die richtige ist. Die Beziehung soll nicht durch unterschiedliche Meinungen gestört werden.

 

 

 

Beispiel:

 

Ein etwa 40 jähriger Verwaltungsbeamter kommt nach einer langen medizinischen Odyssee wegen seiner Herzbeschwerden in Form von ziehenden Schmerzen und Herzstolpern zu mir in Behandlung.

 

Die bisherigen 23 Stunden einer Probetherapie sind von Skepsis geprägt. Lange Stunden sind meine Versuche, das Gespräch lebendig zu gestalten, ohne Erfolg. Ich habe –ehrlich gesagt- die Lust verloren, was sich in meinem Zweifel äußert, ob ich überhaupt etwas ändern kann, ob es sinnvoll ist eine tiefenpsychologische Langzeittherapie zu beantragen. Kurz vor Beginn der zu schildernden Behandlungsstunde hatte sich der Patient ein Herz gefasst und war -trotz verschiedener Körbe, die er sich in den Jahren zuvor geholt hatte- eine Verabredung mit einer Kollegin zum Kino eigegangen.

 

Kurz vor Beginn der zu schildernden Behandlungsstunde hatte sich der Patient ein Herz gefasst und war -trotz verschiedener Körbe, die er sich in den Jahren zuvor geholt hatte- eine Verabredung mit einer Kollegin zum Kino eigegangen.

 

 

 

Patient: Am Samstag war ich mit M. im Kino.

 

Therapeut: Wie war´s

 

Patient: Och, nichts Besonderes. Ein Actionfilm, eigentlich nichts für mich, ist mir zu hektisch. (will was sagen, zögert, scheint es sich anders zu überlegen, schweigt)

 

Therapeut: Ich habe den Eindruck Sie wollten noch was sagen, haben es sich dann anders überlegt.

 

Patient: Nö, eigentlich nicht, ist nicht so wichtig (Schweigen)

 

Therapeut: Na? Sagen Sie´s trotzdem

 

Patient: ist eigentlich lächerlich...ihr ist die Tüte mit Popcorn runtergefallen...(schweigt)

 

Therapeut: und?

 

Patient: ja nichts und... (wirkt angespannt).. ich hab sie aufgehoben

 

 

 

Ich denke an meine ersten Kinobesuche mit Mädchen und entschließe mich am Thema zu bleiben

 

 

 

Therapeut: Es fehlt noch was

 

Patient (druckst herum): ... Mein Gesicht hat ihre Brust berührt

 

Therapeut: ja?

 

Patient: (schweigt) ich will das nicht sagen

 

Therapeut: ist vielleicht wichtig

 

Patient: was soll daran wichtig sein...ich war erregt.

 

Therapeut: Sie haben Schwierigkeiten mir das zu erzählen

 

Patient (lebhaft): das kann man doch nicht machen, ist ja unanständig

 

Therapeut: und wenn Sie mir das erzählen?

 

Patient: was sollen Sie für ein Bild von mir kriegen

 

Therapeut: Sie meinen ich könnte mir nicht vorstellen oder nicht gutheißen, dass Sie die Situation erregt hat?

 

Patient: genau

 

Therapeut: Ich nehme an, das Gefühl war wichtig?

 

Patient (druckst): ...schon

 

Therapeut: Aber weil ich möglicherweise anderer Meinung sein könnte, kehren Sie das Ganze lieber unter den Teppich

 

Patient(genervt): so ist es

 

 

 

 

 

 

  

 

Zusammenfassung

 

Psychosomatische Störungen sind Sprachstörungen der Seele

 

 

 

Ich bin bei meinen Ausführungen von zwei Hypothesen ausgegangen:

 

  •  Die Therapie bei psychosomatischen Störungen ist häufig durch frühe d.h. präödipale Übertragungsmuster geprägt, die bestimmte Charakteristika aufweisen
  • Dementsprechend entstehen primärprozesshaft getönte Gegenübertragungsmuster, die eine besondere Aufmerksamkeit bei der Interpretation verdienen.

 

Wenn die frühen Beziehungsmuster nicht bearbeitet werden, ist eine Bearbeitung der nachfolgend entstandenen neurotischen Konflikte beeinträchtigt. 

 

 

Die analytische Zentrierung auf das Beziehungsgeschehen in der Therapie unter der Wahrung von Neutralität und Abstinenz ist wesentlich. Es Bedarf also keiner grundlegenden Änderung im Vergleich mit der Behandlung „reiferer“ Störungsformen.

 

Die aktive Hilfe des Analytikers bei der Klärung von Affektzuständen, deren Zuordnung und deren Verbalisierung ist notwendig. Hier gibt es den größten Unterschied zur „klassischen“ Behandlungstechnik, in der man jenseits der Deutung die Entwicklung von  Einsichten dem Patienten  überlässt.

 

Die Beachtung des Lust-Unlust-Prinzips hat eine größere Bedeutung. Die Frustationstoleranz eines Patienten im „frühen Erlebensmodus“ ist wesentlich geringer. Ebenso seine Fähigkeit zur Kohärenz und narzisstischen Selbstregulation.

 

 

  

 

Damit wäre ich bei der dritten Grundvoraussetzung zur analytischen Therapie (neben Neutralität und Abstinenz) der Benevolenz. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass in der Medizin so manche unangenehme Wahrnehmung überwunden werden muss. Warum sollte es in der Psychotherapie anders sein?  Eine Atmosphäre des Wohlwollens erscheint mir unabdingbar. Aber gerade das ist häufig bei frühgestörten und tief regredierten Patienten schwierig. Sie agieren Distanz, weil sie die Nähe fürchten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich dem zunächst befremdlich wirkenden Verhalten meiner Patienten um so wohlwollender begegnen kann, je besser ich seine Ursprünge verstehe.