Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie

-Gedanken zu Freuds Zukunftsvision von 1910-

 

Dr. med. Rainer Sandweg    Saarländisches Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren

 

vor 100 Jahren, am 30.03.1910, hielt Sigmund Freud den Eröffnungsvortrag zum 2. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Nürnberg. Der Kongress war ein historisches Ereignis, denn hier wurde die Gründung der IPV beschlossen, deren erster Präsident C.G. Jung wurde und auch die Gründung des Zentralblattes für Psychoanalyse. Freud erinnert sich in seiner Arbeit. Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung im Jahre 1914 :

Zwei Jahre nach dem ersten fand der zweite Privatkongreß der Psycho­analytiker, diesmal in Nürnberg, statt (März 1910). In der Zwischenzeit hatte sich bei mir, unter dem Eindruck der Aufnahme in Amerika, der steigenden Anfeindung in den deutschen Ländern und der ungeahnten Verstärkung durch den Zuzug der Züricher, eine Absicht gebildet, die ich mit Beihilfe meines Freundes S. Ferenczi auf jenem zweiten Kongreß zur Ausführung brachte. Ich gedachte, die psychoanalytische Bewegung zu organisieren, ihren Mittelpunkt nach Zürich zu verlegen und ihr ein Oberhaupt zu geben, welches ihre Zukunft in acht nehmen sollte.

 

 Seinem Vortrag gab er den Titel Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie. Sowohl das Thema, als auch seine Begrenzung sind schon in dieser Überschrift enthalten, denn er sprach  über die psychoanalytische Therapie, also nicht über die allgemeine Bedeutung der Psychoanalyse, sondern ihre therapeutische Anwendung. Gleichwohl hat er, wie wir sehen werden, Gedanken zur allgemeinen Auswirkungen der Therapie  auf die Gesellschaft geäußert. Zweifellos war auch 1910 schon klar, dass die psychoanalytische Theorie  ein neues Bild vom Menschen voraussetzt, und dass man keine psychoanalytische Therapie betreiben kann, ohne diese Grundlage zu akzeptieren. Freud fand diesbezüglich viel Anerkennung, aber auch viel Kritik. Trocken beschreibt er in der  Zur Geschichte der Psychoanalyse:

Ich nahm ferner an, ein zweites Hindernis sei meine Person, deren Schätzung allzu sehr durch der Parteien Gunst und Haß verwirrt wurde; man verglich mich entweder mit Kolumbus, Darwin und Kepler oder schimpfte mich einen Paralytiker.

1910 war aes Unbewusste formuliert, ebenso die Bedeutung der ersten Lebensjahre für die seelische Entwicklung, sowie die zentrale Rolle, welche die Sexualität in allen ihren Vorstufen und Spielarten dabei spielt. Ich will in diesem Zusammenhang mit der Traumdeutung und den drei Abhandlungen zur Sexualtheorie nur die beiden wichtigsten Werke nennen. Die Bedeutung der Übertragung war erkannt, die Gegenübertragung wird zum ersten mal in diesem Vortrag formuliert. Erste behandlungstechnische Schriften waren erschienen, einschließlich eines Kataloges von Indikationen und Gegenindikationen. Nachdem sich Hypnose und Suggestion als unzureichend erwiesen hatten, gewann die freie Assoziation an Bedeutung und der Widerstandes gegen das Bewusstwerden von unbewussten Vorstellungen.

 

Freud beginnt seinen Vortrag mit einer Nachdenklichkeit, die wohl bis heute anhält:

..(Ich) nehme an, dass die meisten von Ihnen die beiden Phasen der Anhängerschaft bereits durchgemacht haben, die des Entzückens über die ungeahnte Steigerung unserer therapeutischen Leistungen und die der Depression über die Größe der Schwierigkeiten, die unseren Bemühungen im Wege stehen.

 

Von drei Seiten erwartete Freud eine erhebliche Besserung der therapeutischen Chancen:

1.     durch inneren Fortschritt

2.     durch Zuwachs an Autorität

3.     durch die Allgemeinwirkung unserer Arbeit

Der innere Fortschritt sei zu unterteilen in analytisches Wissen und in unsere Technik.

 

Analytisches Wissen

 

Was das analytische Wissen anbetrifft, so erhofft er sich viel vom Studium der Symbolik, da sei noch viel zu lernen, wie er schon in der Traumdeutung beschrieben habe. Auf Anregung von Ernest Jones wurde auf dem Nürnberger Kongress ein Komitee für Symbolforschung gegründet, aus dem aber, wie er selbst sagt, später nicht viel geworden ist.

In dem Bewusstsein, die hysterische Symptombildung in knappe Formeln gebannt zu haben, stünde es nun an, das Gesetzmäßige im Aufbau der verschiedenen Formen von Neurosen  zu beschreiben. Dann nämlich könne man erkennen, ob eine Analyse vollständig sei oder nicht.

 Wie der Geburtshelfer durch die Inspektion der Placenta erfährt, ob sie vollständig ausgestoßen wurde oder ob noch schädliche Reste zurückgeblieben sind, so würden wir unabhängig vom Erfolg und jeweiligen Befinden des Kranken sagen können, ob uns die Arbeit vollständig gelungen ist oder ob wir auf Rückfälle und neuerliche Erkrankungen gefasst sein müssen.

Zwei implizite Gedanken erregen hier unsere Aufmerksamkeit:

·      Zum einen wird die damalige Vorstellung deutlich, man könne eine vollständige Analyse führen und diese auch von einer unvollständigen unterscheiden. 100 Jahre später sind wir diesbezüglich zurückhaltender. Wie soll man eine vollständige Analyse erkennen und wie schützen wir uns vor dem damit verbundenen normativen Anspruch, sowohl bei unseren Patienten, als vor allem auch bei uns selbst?

·      Zum anderen verbirgt sich hinter diesen Worten die Frage, welche Störungen zu behandeln sind und  wie ihr neurosenpsychologisches Erklärungsmuster aussieht. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich behaupte, dass man auch heute noch nicht zu einer befriedigenden Lösung des Problems gekommen ist. Nehmen Sie nur die schweren Persönlichkeitsstörungen, psychosomatische Erkrankungen, psychotische Symptome oder posttraumatischen Zustände. Bei weitem herrscht hier kein durch allgemein anerkanntes Wissen gefestigter Friede. Gewiss gibt es heute einen Kernkatalog von Erkrankungen, deren psychotherapeutische Behandlung weitgehend unbestritten ist, wir haben Klassifikationssysteme und in diesem Rahmen auch Indikationskataloge. Aber schon an der Indikation zur klassisch-analytischen Behandlung scheiden sich die Geister. Die Diskussion, ob es eine Indikation entlang der Wochenfrequenz der Behandlung gibt, möchte ich hier gar nicht erst lostreten.

 Wir müssen feststellen, dass der innere Fortschritt in puncto psychoanalytisches Wissen nicht so zufrieden stellend ist, wie man es nach Freuds damaligen Worten  erwartet haben mag.

 

Selbsterkenntnis als Voraussetzung für Erkenntnis

 

 Wie sieht es mit dem zweiten Teil des inneren Fortschrittes aus, nämlich unserer Technik?

Freud beginnt diesen Teil seiner Ausführungen mit einer kurzen Zusammenfassung der Entwicklung der analytischen Technik:

Zur Zeit der kathartischen Kur setzten wir uns die Aufklärung der Symptome zum Ziel, dann wandten wir uns von den Symptomen ab und setzten die Aufdeckung der Komplexe - nach dem unentbehrlich gewordenen Wort von Jung - als Ziel an die Stelle; jetzt richten wir aber  die Arbeit direkt auf die Affindung und Überwindung der Widerstände und vertrauen mit Recht darauf, dass die Komplexe sich mühelos ergeben werden, sowie die Widerstände erkannt und beseitigt sind.

Die Bedeutung des Übertragungswiderstandes hat Freud erst zwei Jahre später in einer kurzen Arbeit Zur Dynamik der Übertragung präzisiert, aber schon hier fügt er den methodischen Überlegungen eine wichtige Dimension hinzu indem er fortfährt:

Wir sind auf die Gegenübertragung aufmerksam geworden, die sich beim Arzt durch den Einfluss des Patienten auf das unbewusste Fühlen des Arztes einstellt und sind nicht weit davon, die Forderung zu erheben, dass der Arzt diese Gegenübertragung bei sich selbst erkennen und Bewältigen müsse.

Die Botschaft, dass es sich hier auch um eine persönliche Sache des Arztes und nicht etwa nur des Patienten handele, scheint diesem sonst sicheren Sprachstilisten so wichtige gewesen zu sein, dass er den Arzt in einem Halbsatz gleich zweimal erwähnt. Und er erklärt auch gleich, warum:

Wir haben, seitdem eine größere Anzahl von Personen die Psychoanalyse üben und ihre Erfahrungen austauschen, bemerkt, dass jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine eigenen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten, und verlangen daher, dass er seine Selbstanalyse beginne und diese, während er seine Erfahrungen an Kranken macht, fortlaufend vertiefe. Wer in einer solchen Selbstanalyse nichts zustande bringt, mag sich die Fähigkeit, Kranke analytisch zu behandeln, ohne weiteres absprechen.

Diese auf den ersten Blick nicht so auffallend erscheinenden Worte, markieren einen zentralen Wesenszug jeder psychoanalytischen Tätigkeit: dass jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine eigenen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten. Man kann es nicht deutlich genug sagen, dass hier ein Erkenntnisprinzip gefordert wird, dass weitgehende Folgen für die Methodik und Lebensweise der Analytiker verlangt. Selbsterkenntnis als Voraussetzung für Erkenntnis. Daran hat sich bis zum heutigen Tage nichts geändert. Verständlicherweise spricht Freud noch von Selbstanalyse, er hatte sie ja bei sich angewandt, wer hätte ihn auch analysieren sollen? Später wurde daraus die Lehranalyse, die auch heute noch –quer durch alle psychoanalytischen Schulen- als Grundvoraussetzung und wesentlicher Teil der Ausbildung angesehen wird.

 

Eine weitere  wichtige Überlegung zum dem Thema Technik schließt sich noch an:

Wir nähern uns der Einsicht, dass die analytische Technik je nach Krankheitsform und je nach den beim Patienten vorherrschenden Trieben gewisse Modifikationen erfahren muss.

Auch hier handelt es sich um eine weittragende Überlegung. Auch wenn wir heute, nachdem wir die Erkenntnisse Ich- Psychologie zur Verfügung haben, und seelische Erkrankungen nicht mehr nur nach den vorherrschenden Trieben kategorisieren, ist die Diskussion über die Modifikationen der Technik noch in vollem Gange. Heute sehen wir das Problem eher darin wie viel Regression dem Kranken nützlich und erträglich ist.

Beschließen wir damit die Ausführungen über den inneren Fortschritt, den Freud in den Unterkapiteln analytisches Wissen und Technik behandelt hat, und wenden uns nun dem zweiten Punkt zu, dem

 

 

Zuwachs an Autorität.

 

Dieser Teil der Rede beginnt kritisch:

Die wenigsten Kulturmenschen sind fähig, ohne Anlehnung an andere zu existieren oder auch nur ein selbstständiges Urteil zu fällen. Die Autoritätssucht und innere Haltlosigkeit der Menschen können Sie sich nicht arg genug vorstellen. Die außerordentliche Vermehrung der Neurosen seit der Entkräftung der Religionen mag Ihnen einen Maßstab dafür geben.

Nicht ganz frei von Widerspruch fährt er dann fort:

Die Verarmung des Ichs durch den großen Verdrängungsaufwand, den die Kultur von jedem Individuum fordert mag eine seiner hauptsächlichsten Ursachen sein.

 Es wird nicht ganz klar, was er meint, wenn er dann sagt:

Diese Autorität und die von ihr ausgehende enorme Suggestion war bisher gegen uns.

Ein wenig deutlicher wird es, wenn er  im Rückblick auf seine Arbeitssituation der frühen Jahre fortfährt:

Es war auch wirklich nicht bequem, psychische Operationen auszuführen, während der Kollege, der die Pflicht der Assistenz gehabt hätte, sich ein besonderes Vergnügen daraus machte, ins Operationsfeld zu spucken.

Und etwas später:

Die Gesellschaft wird sich nicht beeilen, uns Autorität einzuräumen. Sie muss sich im Widerstande gegen uns befinden, denn wir verhalten uns kritisch gegen sie; wie weisen ihr nach, dass sie an der Verursachung der Neurosen selbst einen großen Anteil hat….

Weil wir Illusionen zerstören, wirft man uns vor, dass wir Ideale in Gefahr bringen.

 

Die Geschichte der Psychoanalyse ist auch eine Geschichte ihrer Anfeindungen. Vieles was kritisch an der Entwicklung von psychoanalytischem Wissen zu sehen ist, wäre nicht zu verstehen, wenn man dieser Tatsache nicht Rechnung trüge. Die menschliche Seele ist das komplexeste System, dass wir kennen. Sie zum Gegenstand der Forschung zu machen, bedeutet zunächst, Komplexität anzuerkennen und damit auch die entsprechenden erkenntnistheoretischen Regeln. Das naturwissenschaftliche Weltbild der damaligen Zeit, auf das sich viele Kritiker der Psychoanalyse auch heute noch beziehen, erfüllt nicht die Kriterien zum Verständnis komplexer Systeme. Die mangelnde Anerkennung der „psychoanalytischen Lehre“, ihr mangelnder Rückhalt bei meinungsbildenden Autoritäten, den Freud beklagt, hat möglicherweise auch etwas mit dem Forschungsthema und den Erkenntnismethoden zu tun. In diesem Eröffnungsvortrag formuliert Freud ein Erkenntnisprinzip, dessen revolutionäres Potential zu einem guten Teil Hintergrund der mangelnden Akzeptanz und der vielfältigen Anfeindungen war: Erkenntnis durch Selbsterkenntnis. Das gilt, wie wir aus den eben zitierten Passagen lernen, sowohl für den Patienten, als auch für seinen Analytiker. Mit der  Einführung der freien Assoziation zur Erfassung und Beschreibung komplexer seelischer Vorgänge wurde eine Methode gewählt, die überhaupt nicht in die naturwissenschaftlichen Erwartungen passte. Übrigens auch nicht in die von Freud selbst, der als anerkannter neurologischer Forscher lange genug die Regeln der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung geachtet und befolgt hatte. Es steht zu vermuten, dass in der mangelnden wissenschaftlichen Wertschätzung der freien Assoziation ein hohes Erklärungspotential steckt, sowohl, was das psychoanalytische Selbstverständnis als „Bewegung“ anbetrifft, als auch ein gut Teil ihrer Ablehnung. Diese frühen Jahre der Entwicklung der Psychoanalyse waren außerordentlich fruchtbar, wohl auch deshalb, weil den theoretischen Spekulationen der Anhänger noch wenige Grenzen gesetzt waren. Unter Freuds Führung begann sich  aus einer Mischung von  klinischer Beobachtung und theoretischer Spekulation allmählich eine psychoanalytische Lehre zu konturieren, die das Bild vom Menschen und seiner Entwicklung gründlich veränderte. Das wissenschaftliche Problem bestand wohl darin, welcher und wessen Spekulation man folgen sollte. Empirische Überprüfungen fanden nicht statt. Freud selbst hat zwar in seinen Arbeiten oft seine klinische Erfahrung angeführt, einen wissenschaftlichen Beweis führte er nicht. Man liest in den früheren psychoanalytischen Schriften eine gewisse Scheu heraus einzugestehen, dass Theorien ihren Ausgangspunkt in freien Assoziationen nahmen, die sich im analytischen Diskurs ergaben. Es gab keine wissenschaftliche Verfahrensweise, die beschrieb, wie aus solchen Spekulationen eine allgemein anerkannte Theorie wurde. Freud selbst argumentierte, wenn es um theoretische Fragen ging, sehr vorsichtig. Oftmals betonte er die Vorläufigkeit seiner Feststellungen  oder äußerte gar den Wunsch, dass

 „dieses Buch rasch veralten möge, indem das Neue, was einst gebracht, allgemein angenommen und das Unzulängliche, das sich in ihm findet, durch Richtigeres ersetzt wird.“

So geschehen 1909 im Vorwort zur zweiten Auflage der drei Abhandlungen. In seinen Arbeiten zur Behandlungstechnik und Falldarstellung wurde er nicht müde darauf zu verweisen, dass sich die Richtigkeit einer theoretischen Annahme erst im Verlauf des analytischen Prozesses herausstellen könne. Er warnte er seine Schüler davor - nachdem er es selbst lange genug erfolglos praktiziert hatte-, ihren Patienten lange theoretische Erklärungen zu geben. Auch sollten sie sich nicht selbst damit unter Druck setzen, in jeder Behandlung die Richtigkeit der  Theorie zu entdecken. So schreibt er z.B. 1911 in seiner Arbeit über die Handhabung der Traumdeutung in der Psychoanalyse:

Ich weiß, dass es  nicht nur für den Analysierten, sondern auch für den Arzt eine starke Zumutung ist, die bewussten Zielvorstellungen bei der Behandlung aufzugeben und sich ganz der Leitung zu überlassen, die uns doch immer wieder als „zufällig“ erscheint.

Bemerkungen dieser Art finden sich in vielen seiner Behandlungstechnischen Schriften.

Freud hat oft klinische Hypothesen geäußert und sein fachkundiges Publikum um Überprüfung gebeten. So auch hier, wenn er  im Zusammenhang mit einer Klassifizierung der Widerstände sagt:

Ich bitte Sie nun, an Ihrem Material nachzuprüfen, ob Sie folgende Zusammenfassung bestätigen können: Bei männlichen Patienten scheinen die bedeutsamsten Kurwiderstände vom Vaterkomplex auszugehen und sich in Furcht vor dem Vater, Trotz gegen den Vater und Unglauben gegen den Vater aufzulösen.

Die Zulassung solcher Hypothesen ist auf  eine grundsätzlich  wohlwollende Haltung angewiesen. Eine wohlwollende –jedenfalls nicht feindliche- Aufnahme ist notwendig, um aus der Fülle der Assoziationen eine Hypothese werden zu lassen, deren Erklärungspotential sich in der klinischen Arbeit prüfen lässt.  In der oben zitierten Erörterung der Symbole gibt eine Passage, in der die Bildung eines inneren Zirkels sozusagen in statu nascendi beschrieben wird:

Vor einiger Zeit wurde es mir bekannt, dass ein uns fern stehender Psychologe sich an einen von uns mit der Bemerkung gewendet, wir überschätzten doch gewiss die geheime sexuelle Bedeutung der Träume.

Der Kritiker hatte angeführt, sein häufigster Traum sei, eine Stiege hinauf zu steigen und da sei doch gewiss nichts Sexuelles dahinter. Freuds  entgegnet:

Durch diesen Einwand aufmerksam gemacht, haben wir dem Vorkommen von Stiegen, Treppen,  Leitern im Traume Aufmerksamkeit geschenkt und konnten bald feststellen, dass die Stiege (und was ihr analog ist) ein sicheres Koitussymbol darstellt. Die Grundlage der Vergleichung ist nicht schwer aufzufinden; in rhythmischen Absätzen, unter zunehmender Atemnot kommt man auf eine Höhe und kann dann mit ein paar Sprüngen wieder unten sein. So findet sich der Rhythmus des Koitus im Stiegensteigen wieder….  

Man hat Mühe, in dieser Betrachtung einen Beweis zu sehen. Natürlich kann es so sein, aber muss es? Woher kommt dieser Zusammenhang? Welche Belege gibt es für diese Aussage, die doch bestenfalls Vermutungscharakter hat?

Ich stelle mir vor, der fern stehende Psychologe hat zugehört oder den Vortrag später gelesen. Er wird nicht begeistert und sicher nicht überzeugt gewesen sein. Er wird sich vermutlich nicht so schnell der psychoanalytischen Bewegung angeschlossen haben.

Warum hat Freud, hier wie anderenorts, gar nicht den Versuch gemacht, einen wissenschaftlichen Nachweis zu führen? Als anerkanntem Naturwissenschaftler dürfte ihm das nicht schwer gefallen sein. Es ist wohl eine Sache, sich in der unendlichen Vielfalt von Assoziationen zu bewegen und eine andere, den staubigen und engen Pfad der Überprüfbarkeit zu beschreiten. Diese beiden Erkenntnisprinzipien  sind offenbar schwer miteinander zu vereinbaren. Jede numerische oder nomothetische Überprüfung einer Hypothese setzt eine Einschränkung des Untersuchungsgegenstandes voraus. D.h. es kommt ein der freien Assoziation entgegen gesetztes Prinzip zur Anwendung.

Freuds Annahme, dass sich „die Gesellschaft“ gegen die Anerkennung der psychoanalytischen Lehre gewehrt hat, weil diese nachweist, dass die Gesellschaft an der Entstehung der Neurosen selbst einen großen Anteil hat, ist vermutlich richtig. Aber der fehlende allgemeine Nachweis der Gültigkeit psychoanalytischer Theorien hat wohl auch dazu beigetragen. Die frühe Wende von der Wissenschaft zur Bewegung, so nachvollziehbar  sie aus methodischen Gründen gewesen sein mag, hat auf der anderen Seite die Anerkennung durch die Autoritäten erschwert.

 

Allgemeinwirkung

 

Den letzten Teil seines Vortrages widmet Freud der Allgemeinwirkung der psychoanalytischen Therapie. In bewundernswerter Klarheit liefert er zunächst eine Definition von Psychoneurosen und ihrer Behandlung:

Die Psychoneurosen sind entstellte Ersatzbefriedigungen von Trieben, deren Existenz man vor sich selbst und anderen verleugnen muss. Ihre Existenzfähigkeit beruht auf dieser Entstellung und Verkennung. Mit der Lösung des Rätsels, das sie bieten, und der Annahme dieser Lösung durch die Kranken werden diese Krankheitszustände  existenzunfähig.

Wenn man also die analytische Therapie auf die Gesellschaft angewendet, muss:

Dieser Erfolg, den die Therapie beim Einzelnen haben kann, (muss) auch bei der Masse eintreten.

Die Halluzination der Heiligen Jungfrau bei Bauernmädchen z.B. habe doch nur solange eine Faszination ausüben können, bis man dem Gendarm und dem Arzt gestattet habe, die Visionärin zu besuchen.

Was  aber werden die Menschen tun müssen, wenn ihnen die Flucht in die Krankheit durch die indiskreten Aufklärungen der Psychoanalyse versperrt wird ?

Sie werden ehrlich sein müssen, sich zu den in ihnen rege gewordenen Trieben bekennen, im Konflikt standhalten, werden kämpfen oder verzichten, und die Toleranz der Gesellschaft, die sich im Gefolge der psychoanalytischen Aufklärung unabwendbar einstellt, wird ihnen zu Hilfe kommen.

Ganz  so positiv sieht es 100 Jahre nach diesen Worten nicht aus. Offenbar ist das Bedürfnis nach Aufklärung nicht so groß. Auch heute noch gibt es Marienerscheinungen und andere, vergleichbare Illusionen, UFOs z.B., allerlei Parapsychologisches und Esoterisches und den Glauben, Geld könne arbeiten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Freud hat dann seine Vision in klassisch dialektischer Weise eingeschränkt:

 Eine gute Anzahl derer, die sich heute in Krankheit flüchten, würden unter den von uns angenommenen Bedingungen den Konflikt nicht bestehen, sondern zugrunde gehen oder ein Unheil anstiften, welches größer ist als ihre eigene neurotische Erkrankung…

Wer von Ihnen hat nicht schon einmal hinter die Verursachung einer Neurose geblickt, die er als mildesten Ausgang unter allen Möglichkeiten der Situation gelten lassen musste? Und soll man wirklich der Ausrottung der Neurosen so schwere Opfer bringen, wenn doch die Welt voll ist von anderem unabwendbaren Elend?

Es fröstelt uns bei diesen Worten, den wir wissen im Rückblick, dass sie eine eher milde Beschreibung dessen waren, was in zwei Weltkriegen in den folgenden Jahrzehnten über die Menschheit kommen sollte.

Auch wenn das stimme,  so sei doch der Krankheitsgewinn der Neurosen im ganzen und am Ende eine Schädigung für den Einzelnen und die Gesellschaft.

So schließt Freud seinen Vortrag mit  einer Verheißung:

Sie geben nicht nur Ihrem Kranken die wirksamste Behandlung gegen seine Leiden, die uns heute zu Gebote steht; Sie leisten auch Ihren Beitrag zu jener Aufklärung der Masse, von der wir die gründlichste Prophylaxe der neurotischen Erkrankungen auf dem Umwege über die gesellschaftliche Autorität erwarten.

 

Hinterher ist man immer klüger. Weder die Behauptung der wirksamsten Behandlung, noch die der gründlichsten Prophylaxe auf dem Umwege über die gesellschaftliche Autorität  ist unwidersprochen geblieben.

Die Frage nach der Wirksamkeit leidet noch heute unter der mangelnden Klarheit über die Indikation. Die Psychiater werfen den Analytikern vor, sie pickten sich die Rosinen aus dem Kuchen. Die Kritik aus der Verhaltenstherapie bezieht sich mehr darauf, dass psychoanalytische Theorien nicht überprüfbar seien. Auch über die Frage, wie sehr die Psychoanalyse an gesellschaftlicher Autorität gewonnen habe, wird viel gestritten. darüber wird so viel geschrieben und gestritten, dass ich nicht meine, ich könne hierzu wesentlich Neues beitragen.

Was mich beschäftigt hat an diesem Eröffnungsvortrag zu einem historischen Kongress, ist die Konsolidierung der Bewegung. Warum nur, darf man in diesem Zusammenhang fragen, nannte Freud diesen 2. internationalen Kongress einen Privatkongress, als er drei Jahre später eine Geschichte der psychoanalytischen Bewegung schrieb? Es besteht kein Zweifel, dass die psychoanalytische Bewegung ins Leben gerufen wurde, um wissenschaftliche Irrwege zu vermeiden.

Vom Jahre 1902 an scharte sich eine Anzahl jüngerer Ärzte um mich in der ausgesprochenen Absicht, die Psychoanalyse zu erlernen, auszuüben und zu verbreiten.

Ich selbst wagte es nicht, eine noch unfertige Technik und eine im steten Fluß begriffene Theorie mit jener Autorität vorzutragen, die den anderen wahrscheinlich manche Irrwege und etliche Entgleisungen erspart hätte.

Ich finde mich berechtigt, den Standpunkt zu vertreten, daß auch heute noch, wo ich längst nicht mehr der einzige Psychoanalytiker bin, keiner besser als ich wissen kann, was die Psychoanalyse ist, wodurch sie sich von anderen Weisen, das Seelenleben zu erforschen, unterscheidet und was mit ihrem Namen belegt werden soll oder besser anders zu benennen ist.

Vielfältig ist die Kritik an der Bewegung und an  Freuds erklärtermaßen autoritären Haltung zu dem was wissenschaftlich ist und was nicht. Zumeist macht sich diese Kritik an persönlichen Entwicklungen fest, wie man z.B. bei Paul Roazen (Freud and his followers, dt. Sigmund Freud und sein Kreis: e. biograph. Geschichte d. Psychoanalyse, Bergisch Gladbach: Lübbe, 1976, Neuausgabe: Gießen: Psychosozial-Verlag 1997) und Annemarie Dührssen (Ein Jahrhundert Psychoanalytische Bewegung in Deutschland. Die Psychotherapie unter dem Einfluß Freuds, Göttingen 1994) nachlesen kann.

 

Folgerungen

 

Bei allem Respekt vor solchen historischen, gesellschaftlichen und persönlichen Betrachtungen der Psychoanalyse, es bleiben wichtige Fragen offen:

Warum hat Freud damals, als es um eine Sammlung und Ordnung der psychoanalytischen Bewegung ging, den Kongress nicht zum Anlass genommen, auch methodische Unklarheiten zu bereinigen? Er wusste um die unfertige Technik und eine im steten Fluß begriffene Theorie?  Gewiss war ihm klar, wie man wissenschaftliche Daten sammelte und die daraus entstehenden Hypothesen nomothetisch überprüfen konnte. In den folgenden Jahrzehnten der Auseinandersetzung, namentlich mit der Verhaltenspsychologie, in denen Analytiker in ebensolcher Weise die numerischen Überprüfung  ihrer Hypothesen vernachlässigten, geriet die Psychoanalyse teilweise ins Hintertreffen. Jedenfalls in den Augen derer, die sich nicht genauer mit ihr beschäftigten und  die Sinnhaftigkeit der Anwendung freier Assoziationen in der klinischen Beobachtung nicht verstanden. Man kann nur darüber mutmaßen, warum die statistische Überprüfung der Richtigkeit ihrer Ergebnisse durch Freud und seine Nachfolger vernachlässigt wurde. Sie verließen sich auf die Evidenz, wie im obigen Beispiel mit der Sexualsymbolik im Traum zitiert. Das Offensichtliche  aber ist nur für die offensichtlich, die bereit sind zu sehen. Nur wer sich auf die freie Assoziation als wichtigen Erkenntnisweg für komplexe seelische Zustände einlässt, kann ihren Wert und ihre Ergebnisse anerkennen. Fürchtete man, dass der Sinn für die Vielfältigkeit der Assoziationen durch mathematische Überprüfung  verloren ging? In der Tat wäre es befremdlich gewesen, wenn Freud in besagtem Beispiel vorgetragen hätte, dass in 83% der Fälle Sexualität thematisiert wurde, wenn der Träumer von Stiegen träumt. Einzelfallanalyse und statistische Aufarbeitung, Idiographie und Nomothetik, bilden in mehrfacher Hinsicht eine tiefe Kluft und was dem einen liegt, widerstrebt dem anderen. Jemand, der genau hinschaut und möglichst eine differenzierte Beschreibung abliefern will, tut sich schwer damit, auch gleich die Allgemeingültigkeit zu beweisen. Es gehört zur Geschichte der Psychoanalyse, wie zu jeder Erforschung von komplexen Systemen, dass zunächst die genaue Erforschung des Einzelfalles, also ein idiographischer Ansatz, notwendig ist. Wenn Sie so wollen, ist jede mikroskopische Untersuchung eine idiographische Untersuchung. Ist es Zufall, dass gerade der Entdecker der Psychoanalyse sich zuvor unter anderem dadurch einen Namen gemacht hatte, dass er die Anfärbung von Nervenzellen durch Silbernitrat bei der mikroskopischen Untersuchung publik machte?

Wir wissen, dass Freud die Hoffnung nicht aufgab, die Erkenntnisse der Psychoanalyse dereinst auf eine naturwissenschaftliche Basis zu stellen. Es dauerte aber fast 100 Jahre, bis man der Erfüllung dieses Wunsches ein wenig näher kam und zwar durch die Erkenntnisse der Hirnforschung:

Nach jahrzehntelanger genauester Untersuchung von Einzelfunktionen, sei es mit dem Mikroskop, mit Einzelzellpunktionen und elektrischen Mikroableitungen, sei es mit der mikrochemischen Untersuchungen auf Einzelzellebene und der differenzierten Darstellung der Aktivität einzelner Hirnareale durch bildgebende Verfahren, begann man durch Synopse der Einzelergebnisse eine Vorstellung über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu entwickeln.  

Gerald M. Edelmann: Giulio Tononi Gehirn und Geist. Wie aus Materie Bewusstsein entsteht. C.H.Beck, 2002, ISBN 3-406-48836-6

Gerhard Roth„das Gehirn ist unser wichtigstes Sinnesorgan“. (1994) Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Suhrkamp, Frankfurt (8. Aufl. 2000)

Dabei stellt sich heraus, dass sich manche theoretische Annahme der Psychoanalyse mit den heutigen Befunden der neurobiologischen Forschung deckt.

  1. Wir müssen davon ausgehen, dass ein wesentlicher Teil der menschlichen Anpassungs- und Überlebensstrategien unbewusst bleibt. Bewusstheit, definiert als das Wissen eines Systems über sich selbst, ist immer dann gefordert, wenn die unbewusst angewandten Strategien sich als nicht optimal erweisen.

 

  1. Unsere Wahrnehmung basiert auf der Ebene der Sinnesorgane nach dem Prinzip der Analog – Digitalwandlung. Diese Wahrnehmung der Realität ist durch die Qualität unserer Sinnesorgane und durch früher gemachte Erfahrungen beeinflusst. Die Weiterleitung von Signalen vom Sinnesorgan zum Zentralnervensystem erfolgt nach einem relativ einfachen und uniformen binären Prinzip.

 

  1. Die jeweils aktuell eingehenden Informationen werden mit schon im Gedächtnis bestehenden Informationen abgeglichen. Letztere werden zur Konstruktion eines aktuellen Bildes herangezogen. Wie man heute weiß, erfolgt das meistens nach gestaltpsychologischen Prinzipien, d.h. relativ wenige Messpunkte werden genutzt, um daraus ein schon weitgehend bekanntes Bild von der Wirklichkeit zu erzeugen. Diese, sicher energiesparende Methode ist verantwortlich für unsere Vorurteile, für unsere imagines, die ja auch so etwas wie Vorurteile sind und damit auch –so möchte ich behaupten- für unsere Übertragungen. In diesem Sinne  formulierte Roth (l.c.): das Gehirn ist unser wichtigstes Sinnesorgan

 

 Wendet man diese konstruktivistische Sicht über die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns auf das Phänomen Übertragung an, so wird klar, dass wir es bei der Übertragung mit einem Grundprinzip menschlichen Erlebens zu tun haben.

Die psychoanalytische Situation lässt sich demnach wie folgt beschreiben: Analytiker und Analysand versuchen gemeinsam eine Sicht der Wirklichkeit des Patienten zu konstruieren, die auf der assoziativen Tätigkeit beider beruht und von der genetische Ausstattung und persönlichen Lebenserfahrung beider geprägt ist.  Die Assoziation, also die Gesamtheit der Hirnfunktionen jenseits der unmittelbaren neuronalen Efferenz, all das, was unsere Gehirn an Gedächtnis, Gefühlen und Voraussicht zusätzlich zu der direkten Reizantwort zu bieten hat, wird somit zum wichtigen Erkenntnisinstrument, um seelische Zusammenhänge zu erfassen. Die assoziative Tätigkeit unterliegt zunächst einmal nicht der logischen Kontrolle, das macht ihre Schwierigkeit, aber auch ihren Wert aus. Sie ist seitens  des Patienten wichtigste Quelle des Materials, seitens des Analytikers wichtigstes Instrument des intuitiven Verstehens. Liest man analytische Falldarstellungen, so findet man immer wieder solche Momente des intuitiven Erfassens, die sich zunächst nicht logisch begründen lassen. Erst aus der Sicht der assoziativen Tätigkeit  kann man verstehen, dass der Analytiker den Patienten dadurch versteht, dass seine eigenen Assoziationen durch die des Analysanden angeregt wurden.

Den Versuch, aus logisch nicht begründbaren Assoziationen eine Annahme über die Wirklichkeit zu machen, nennt man eine Spekulation, also eine Schlussfolgerung über etwas ohne gesicherte Erkenntnis. Wenn man analytische Falldarstellungen liest wie z.B.  über den Wolfsmann oder den Rattenmann oder viele andere, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass auf dem Niveau der Spekulation gearbeitet wird. Versucht man ein komplexes System durch ein weiteres ebenfalls komplexes System zu erfassen –und so kann man einen analytischen Prozess beschreiben- bedeutet das, mit Assoziationen zu arbeiten. Es würde aber keinen Sinn machen, die Assoziationstätigkeit statistisch erfassen zu wollen. Solange aber solche nomothetischen Beweise nicht vorliegen, ist man auf wohlwollende Aufnahme angewiesen, auf Mitmenschen, Kollegen, Forscher, die bereit sind, sich erst einmal auf die logischen Unabwägbarkeiten der Spekulation einzulassen. Kurz und gut,  man braucht eben so etwas wie eine Bewegung. Hieran ist der wissenschaftliche Disput zwischen Psychoanalyse und anderen Wissenschaften oft genug gescheitert. Analytiker haben vielleicht nicht klar genug herausgestellt, warum man zur Erforschung seelischer Prozesse Erkenntnismethoden anwenden muss, die sich nicht in eine vordergründige mathematische Überprüfung zwängen lassen. So gesehen ist die Abneigung gegen Statistiken keine Marotte. Wir haben es mit komplexen Systemen zu tun, deren vielfältige gegenseitige Beeinflussung –wenn überhaupt- nur mit sehr komplizierten mathematischen Verfahren zu erfassen wäre. Es würde zu weit führen und die Zeit ist auch zu weit fortgeschritten,  um den Weg der psychoanalytischen Theoriebildung hier genauer zu verfolgen, obwohl es sich um ein spannendes Thema handelt. Unter pragmatischen Gesichtspunkten und zur Darstellung der Wirksamkeit der psychoanalytischen Theorie in der therapeutischen Praxis sollte es fürs erste reichen, Ergebnisstudien  anzuführen, die den Ansprüchen an Verallgemeinerungsfähigkeit genügen. Dies ist vielleicht aus den oben genannten Gründen nicht immer in ausreichendem Maße geschehen. In den Letzten Jahren jedoch konnte mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden, dass die Langzeitanwendung psychoanalytischer Verfahren eine hohe Effektstärke hat.

 Falk Leichsenring, DSc; Sven Rabung, PhD Effectiveness of Long-term Psychodynamic Psychotherapy A Meta-analysis  JAMA. 2008;300(13):1551-1565

Michael Ermann Behandlungserfolge in der Psychotherapie. Neuere Ergebnisstudien und ihre Güte, Stuttgart 2001 (mit R. Feidel und B. Waldvogel)

Ich hoffe auf Nachsicht, wenn ich nun das Ende meines Vortrages ankündige, ohne angemessen auf die Entwicklung der Psychoanalyse und auf ihre gesellschaftliche Bedeutung eingegangen zu sein. Das wäre auch ein gewaltiges Unterfangen.

Mich hat vielmehr interessiert, warum die Psychoanalyse so früh von einer Wissenschaft zur Bewegung wurde. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass das nicht nur historische oder gar persönliche Gründe waren.

 Wenn ich bei Ihnen ein Verständnis dafür hervorrufen konnte, dass der Gegenstand der psychoanalytischen Forschung und ihre Methoden selbst dazu führten, Zusammenschlüsse zu bilden, in denen man zunächst unangefochten Hypothesen bilden kann, ohne sie sogleich statistisch abzusichern, dann würde mich das freuen.

 Wenn ich Sie zudem  neugierig gemacht habe auf die Anwendung neurobiologischer Erkenntnisse auf die psychoanalytische Theorie, dann glaube ich mein Vortragsziel erreicht zuhaben.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.